geschrieben für beatpunk
Arye Sharuz Shalicar ist heute 33 Jahre alt und arbeitet als Sprecher der israelischen Armee. Er wuchs als Kind iranischer Juden im muslimisch geprägten Berliner Stadtteil Wedding auf. Shalicar hat ein Buch geschrieben, in dem er versucht, seine Erfahrungen als Junge und Jugendlicher im Wedding der 1980er und 1990er Jahre zusammenzufassen, die unter anderem einen Grund dafür lieferten, warum er nun als jüdischer Israeli in Jerusalem lebt.Sharuz Shalicar ist ein gewöhnliches Mitglied der Weddinger Einwanderungscommunity, da seine Eltern keine praktizierenden Juden sind und damit Shalicars religiöser Hintergrund zunächst keine Rolle spielt. »Äußerlich« fällt er als iranischer Junge unter den »blonden Deutschen« auf, nicht aber unter den Türken, Griechen, Bosniern, Indern und anderen Iranern im Wedding. Das ändert sich, als er mit etwa zwölf Jahren beginnt, sich für seine Religion zu interessieren und zunehmend offen damit umzugehen. Plötzlich sieht sich Shalicar in seinem unmittelbaren Umfeld mit einem muslimischen Antisemitismus konfrontiert, der zum Teil lebensbedrohliche Ausmaße ausnimmt.
Beschimpfungen und Verfolgungen in der Schule und auf der Straße werden zum Alltag. Sie reißen nicht einmal ab, als Shalicar versucht, sich als Sprayer und Mitglied einer großen türkischen Gang ein Standing zu erarbeiten, das ihn vor Anfeindungen jeglicher Art schützen soll. Auch diese Anstrengung ist vergeblich, weil Antisemitismus eben nicht etwa nur eine bestimmte Form verbaler oder handgreiflicher jugendlicher Gewalt ist. Aber auch, weil nicht immer fest steht, wer auf der Straße »Freund oder Feind« ist, so dass man beides gleichzeitig sein kann, mit der paradoxen Konsequenz, »dass sie dich an einem Tag umarmen und am anderen Tag töten wollen« – so der erwachsene Shalicar bei der Buchvorstellung im Berliner Café der tageszeitung. Es sind diese zwei Formen von Gewalt, die oft nicht trennscharf voneinander zu unterscheiden sind, weil sie gut zusammengehen und miteinander wirken: die antisemitisch begründete Gewalt und die Gewalt, die aus der, zum Zerreißen gespannten Situation der aktuellen Gesellschaft heraus entsteht und ihre Grundlagen in sozialem Ausschluss, sowie klassenbezogener, geschlechtsbezogener und rassistischer Diskriminierung findet. Beide können bekanntermaßen tödlich sein.
Shalicar hat sie überlebt; nicht zuletzt weil es um ihn herum auch Menschen gab, deren Freundschaft ein anderes, tiefergehendes Maß hatte, unabhängig davon, welcher Religion sie angehörten. Er hat überlebt, weiler die Schule bis zum Abitur nicht verlassen hat, wenn auch aus ihm selbst nicht ganz ersichtlichen Gründen, und weil er erkennt, dass er ein anderes Leben führen will, als die meisten der Menschen um ihn herum. Shalicar weiß, dass er den Wedding, wenn nicht gar Berlin verlassen muss. Er denkt darüber nach, in Israelzu leben und seinen Wehrdienst bei den Israel Defense Forces zu leisten. Auch wenn ihn seine Freundin in Berlin vorerst davon abhält und er daraufhin zur Bundeswehr geht, bleibt der Wunsch und erfüllt sich schließlich. Nach einem halbjährlichen Aufenthalt in einem Kibbuz erweist sich der anschliessende Versuch, in Paris oder Los Angeles Fuß zu fassen, als erfolglos – Shalicar will jüdischer Israeli sein und in Israel leben. Dort erfährt er, dass seine Identität als so interessant oder irrelevant erscheint, wie es die Geschichten und Hintergründe vieler eingewanderter Juden sind, aber ihn und seine Familie nicht mehr unmittelbar bedroht. Mit knapp 23 Jahren beschließt Shalicar seine Aliyah. Er absolviert den dreijährigen Grundwehrdienst in der IDF, lernt Hebräisch und studiert an der Jerusalemer Universität.
Zunächst als einzelne Erzählungen unmittelbar nach seiner Einreise nach Israel verfasst, ist nun das Buch mit maßgeblicher Unterstützung des ARD-Journalisten Richard C. Schneider, der auch das Vorwort zum Buch verfasst hat, entstanden. Es ist die Verarbeitung einer von Gewalt aber auch Widersprüchen geprägten Jugend und die damit verbundene Auseinandersetzung mit Ideologien, deren Beständigkeit und ihren gewaltförmigen Ausprägungen. Dass es Shalicar gelingt, unverstellt und keineswegs verbittert zu erzählen, ist ihm hoch anzurechnen, egal ob man es nun »Berliner Schnauze«, »Jugendlichkeit« oder »Authentizität« nennt. Shalicar selbst sagt, dass ihm die Verwirklichung des Buchprojekts keineswegs leichtgefallen sei, Pressesprecher hin oder her. Es sei schließlich eher »ein Outing«, mit dem er sich einem Publikum öffnen will und nicht eine rachsüchtige Abrechnung mit seiner Vergangenheit.
Arye Sharuz Shalicar: Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude. Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde, 248 S., dtv, 14,90 Euro