Israel hat gewählt. Die Stimmen sind ausgezählt, die Wahlbeteiligung lag bei 68 Prozent, vier Prozent mehr als 2009. Irgendwie haben es die 3.6 Millionen Wählerinnen – von 5,65 Millionen Wahlberechtigten – nach einem trubeligen, aber überraschungslosen Wahlkampf geschafft, doch noch eine Überraschung zu produzieren. Es ist eine Überraschung der Sorte, bei der niemand die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Kein Aufschrei. Kein rechtsreligiöser Ruck. Stattdessen: Ein Patt. Von den 120 Knesset-Sitzen fallen um die 60 an die Rechte und an die Religiösen und um die 60 an die Zentrumsparteien und die Linke. Am Ende wird es knapp und sehr voraussichtlich ein weiteres Mal Benjamin Netanyahu sein, der vor dem Hintergrund seiner schmachvollen Niederlage eine neue Regierung gründen muss: Die Regierung des Parteiendoppels Likud-Beitenu hat ein Viertel ihrer Stimmen verloren. Demgegenüber hat die Labor-Partei etwas Boden gut gemacht. Trotzdem sind ihr mögliche Stimmen verloren gegangen – an die Partei Tzipi Livnis („Die Bewegung“, Sammelstelle früherer Oppositionspolitiker*innen und abgesehen von der Zwei-Staaten-Lösung ohne klare Agenda) und an die Meretz. Die Partei der zionistischen Linken hat es geschafft, ihre Stimmen zu verdoppeln, als einzige der linken Parteien hat sie damit relevant dazugewonnen. Balad, Hadash, Raam-Taal, die arabisch-jüdischen und arabischen Parteien haben es nicht geschafft, relevant mehr Stimmen zu erhalten.
Der eigentliche Gewinner dieser Wahlen aber heißt Yair Lapid. Er ist Vorsitzender der von ihm im Jahr 2012 gegründeten Partei Yesh Atid (Es gibt eine Zukunft). Lapid ist einer der bekanntesten Fernsehjournalisten Israels. Anfang des vergangenen Jahres verkündete er, dass er seine Karriere zugunsten der Politik aufgeben wolle. Als Grund gab er an, genug zu haben von der Welt der Medien, der politischen Korruption, des allgegenwärtigen Betrugs. Es sei Zeit, aufzuräumen im Zirkus der politischen Machenschaften Israels, Zeit für mehr Transparenz, Zeit, das Regierungssystem umzukrempeln, die Bildungs-und Arbeitschancen zu verbessern, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, die Lebenshaltungskosten zu senken, den öffentlichen Verkehrswesen auf vordermann zu bringen… etcetera, etcetera. Wie er all diese Pläne umsetzen will, darüber hat Lapid noch kein Wort verloren. Angesichts seiner wohlinszenierten Wahlkampfauftritte in den vergangenen Wochen liegt die Schlußfolgerung nahe, dass er sich auf sein Charisma des guten Schwiegersohns, der Wohlstand für alle verspricht, verlassen hat. Gleichzeitig fährt Lapid mit etlichen Themen Trittbrett auf den Forderungen der sozialen Proteste. Sein Programm präsentiert er nichtsdestotrotz, ohne die Worte soziale Gerechtigkeit auch nur in den Mund zu nehmen. Ein schlauer Schachzug, denn jedwedes linkes Gschmäckle kann hier, wo „links“ vor allem als Schimpfwort gebräuchlich ist, einer politischen Karriere, und sei sie noch so zart, erheblichen Schaden zufügen. Lapid, schreibt Gideon Levy, ist das Vorbild für den gesamt-israelischen Traum:
„Lapids Wähler wollen ein gutes, ruhiges Leben, friedlich und bürgerlich, ein Leben, in dem kein Platz ist für all die quälenden und nervtötenden Dinge. (…) Lapid sieht gut aus, kann sich gut ausdrücken, ist anständig verheiratet, wohnt im richtigen Viertel und fährt die richtige Sorte Jeep. Viel mehr lässt sich nicht über ihn sagen. Er ist nicht extrem – weil, Himmelhilf, das sind wir auch nicht – und er spielt nicht mit dem Feuer – denn das mögen wir auch nicht. Er lässt die Finger von umstrittenen Dingen, so wie es die Israelis gern haben.“
Wenn Lapid und Yesh Atid für etwas stehen, dann also für den Wunsch des israelischen Fernseh-Publikums, dass ihre Reality-Show ein bisschen vergnüglicher wird. Lapids Sieg ist jedenfalls ein Sieg der modernen Politik, in der ohne TV- und Internetauftritte kein Blumentopf zu gewinnen ist. Sogar die Linke reagiert auf den Medienpolitiker bemerkenswert gelassen. Er ist immerhin kein religiöser Fanatiker. Er erntet Anerkennung für die bunte Mischung der Mitglieder seiner Partei, die mit ihm auf der Wahlliste erschienen sind. Ausserdem sieht es auf der Yesh Atid-Website aus wie auf der Homepage eines Jugendaustauschs – dort kann sich kein ernstzunehmender Gegner verbergen… Vielleicht, so heißt es hier und da, bereitet Lapid, wenn er seine Versprechen nicht hält, ja auch den Weg für eine stärkere Linke in vier Jahren. Die Hoffnung stirbt zuletzt.