River Phoenix, 23 Jahre alt, in seinem letzten Film: wild, schlaksig und weise, zugleich verharmt, müde, leer. Phoenix war 1993, im Zeitraum der Dreharbeiten, vermutlich durch die Einnahme von Drogen verstorben. Der Neo-Western Dark Blood, der zwanzig Jahre nach seinem Dreh in diesen Tagen auf der Berlinale gezeigt wurde, hat diesen Umstand respektvoll gerahmt.
Der „unvollendete Film“ ist spätes Denkmal für einen jungen passionierten Schauspieler und er ist zugleich der Beweis, dass ein Film funktionieren kann, der laut seinem Regisseur Georg Sluizer am Ende kein Film im eigentlichen Sinne mehr hat werden können: Es sei ihm, so Sluizer, nur noch darum gegangen, einen „dreibeiniger Stuhl“ zu errichten, einen Stuhl, der aufrecht steht, selbst wenn man nicht bequem auf ihm sitzen kann. Diese Ankündigung lässt einen nur kurz nervös im Kinosessel hin- und her rutschen – dann beruhigen die Wüstenansichten Arizonas, in der Dark Blood spielt, schnell vermittels der Atemlosigkeit, die sie auslösen. Schnell ist man auch in der Geschichte, vielleicht aufgrund von fehlendem Material, vielleicht skriptgemäß, es bleibt keine Zeit, um darüber nachzudenken: Ein gestandenes, mittelerfolgreiches Schauspieler-Ehepaar, Buffy und Harry, befindet sich auf einem lässigen Wochenendtrip. Dieser endet damit, dass sich ihr eitel glänzender Bentley, der schon am Tag zuvor Schwierigkeiten gemacht hat, endgültig dem Wüstenstaub verweigert und unverrückbar stehen bleibt. Die beiden sind aufgeschmissen, die Nacht bricht herein, die Kojoten heulen, Buffy meint Licht zu sehen und läuft los, durch die mondhelle Nacht, durch das stachlige Gras auf sandigen Felsen. Sie findet eine Hütte mit einem seltsamen jungenhaften Bewohner, der für die beiden alternden Celebrities zur Herausforderung ihrer gesamten Existenz werden wird. Der Film erinnert in manchem an unvergessene Road-Movies der frühen 1990er Jahre wie Wild at Heart und Thelma und Louise. Er ist ein Glücksspiel, ein Schauspiel, eine Lehrstunde in amerikanischer Gesellschaft und Geschichte. Was den dreibeinigen Film-Stuhl dabei zu einer verstörend kippligen Angelegenheit macht, ist das Gefühl, mitunter tatsächlich einer Art Geistertanz zwischen verschiedenen Ebenen beizuwohnen. Da ist die Hoffnungslosigkeit der von unendlichen atomaren Versuchsanordnungen verseuchten Wüste, deren Land den Navajo und den Hopi gehört, da sind Szenen im Schwarz oder im Freeze, in denen Georg Sluizer mit Erzählerstimme entscheidene Szenen aus dem Beziehungsgeflecht der Protagonisten verliest, da ist River Phoenix, den seine morbide Verrücktheit auf tragisch lapidare Weise am Ende sterben lässt, so wie es am 31. Oktober 1993 in Los Angeles tatsächlich geschah. Sehr wahrscheinlich wird Dark Blood dem Mythos Phoenix‘ 20 Jahre nach seinem Tod noch einmal zu einem neuen Glanz verhelfen. Viele werden ihn so überhaupt erst entdecken.