„Es gibt keinen Gott?“
„Nein“, antwortete Ostap.
„Es gibt also keinen? Na dann Prost.“
Vor kurzem erschien „Das goldene Kalb“ bei „Die andere Bibliothek“.
von Johannes Spohr
Ein Roadtrip liebenswerter Protagonisten: Ostap Bender und Schura Balaganow versuchen sich in der Sowjetunion der 1930er Jahre durchzuschlagen und mehr noch: reich zu werden. Für Ostap Bender ist dies die Voraussetzung seines eigentlichen Zieles: ab nach Rio. Zu den beiden stößt auch ein älterer tollpatschiger Schwindler namens Panikowski. Zusammen finden die Gauner und Betrüger nicht immer erfolgreiche Wege, sich Geld anzueignen. Aufmerksamkeit erhalten sie anfangs vor allem durch den Besitz der „Anilope Gnu“ – eines in dieser Zeit durchaus seltenen Kraftfahrzeuges. Man erfährt zudem, dass dem Wissen Benders zufolge in Rio de Janeiro gestohlene Autos umgefärbt wurden: „Das geschieht aus humanitären Erwägungen, damit der frühere Besitzer nicht weint, wenn er einen Fremden in seinem Wagen fahren sieht.“
Der in der Sowjetunion äußerst bekannte satirische Roman liefert ein kleines Alltagsporträt der Sowjetgesellschaft der frühen 1930er Jahre. Immer wieder wird deutlich gemacht, wie sehr diese zu diesem Zeitpunkt mit staatskommunistischer Ideologie und Bürokratismus durchdrungen ist – und wo es Risse gibt. Eine ganz besondere Komik erhält die Geschichte durch die satirische Sprache, die auch in ihrer Übersetzung wirksam erscheint.
Die Journalisten und Schriftsteller Ilja Ilf und Jewgeni Petrow lieferten in diesem Werk eine erstaunlich deutliche Kritik an den repressiven und bürokratische Tendenzen der Sowjetunion. So etwa, wenn Ostap Bender einem von schlechten Träumen geplagten Menschen die Heilung nach der Methode Freud verspricht: „Der Traum ist ja gar nicht so wichtig. Seine Ursache muß beseitigt werden. Die Hauptursache ist das Bestehen der Sowjetmacht. Aber die kann ich zur Zeit nicht beseitigen. Ich habe einfach die Zeit nicht.“ Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen: Ilf und Petrow wurden gefeierte Stars in der Sowjetunion. Sie bewegten sich eher im Kontext der Phase der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP), weit vor dem „großen Terror“ der späten 1930er Jahre. Ilf starb bereits kurz nach der Reise nach Amerika an Tuberkulose, Petrow 1942 bei einem Flugzeugabsturz während des Deutsch-Sowjetischen Krieges. Vergessen waren sie bis 1982 noch nicht, als die sowjetische Astronomin Ludmilla Georgijewna Karatschkina einen von ihr entdeckten Kleinplaneten 3668 IlfPetrow nannte.
Wenige Jahre nach dem „goldenen Kalb“ lieferten Ilf und Petrow den grandiosen Bericht ihrer Amerika-Reise ab: das eingeschossige Amerika. In umgekehrter Reihenfolge veröffentlichte die bibliophile Buchreihe „Die anderen Bibliothek“ die beiden Werke in gänzlich unsowjetisch-dekadenter Aufmachung. Auch auf russisch liegt das vollständige Original erst seit einigen Jahren vor und erschien 2006 bei „Tekst Publishers“. Erstmalig in russischer Sprache erschien die damalige Version bereits 1931.
Derartig liebevoll gestaltete Bücher sind auf dem Markt selten zu finden: Goldener Einband mit ausgestanztem Pappumschlag, Fadenheftung, Lesebändchen, mühevoller Satz und Layout.
Jedes Exemplar von „Das goldene Kalb“ trägt eine eigene von insgesamt 4.444 Nummern. Auch die relativ hohe Auflage überrascht und lässt hoffen, dass der Verlag das Buch erfolgreich unter die Leute bringt. Einzig: Einige antisemitische Ausfälle im Buch – sicherlich nicht unüblich in der Literatur der Zeit – bleibt von den Herausgeber_innen unkommentiert. Das ist mindestens schade.
Ilf, Ilja; Petrow, Jewgeni: Das Goldene Kalb oder die Jagd nach der Million, 469 Seiten, 38 Euro.