„Ich hasse all diese Leute, diese ganze verfickte Generation. Alle, die in den
Neunzigern aufgewachsen sind. Fuck in den Ofen mit diesen Rindviechern, in den von
Ausschwitz, es ist um keinen schade, die ganze Generation, (..) und mich gleich mit rein, geht in Ordnung.“
Exodus von DJ Stalingrad erschien vor kurzem bei dem Berliner Verlag Matthes und Seitz.
Als „therapeutisches Tagebuch“ bezeichnet der Autor Petr Silaev sein Roman „Exodus“ (Is’chod). Sein langjähriges Pseudonym DJ Stalingrad hat er inzwischen hinter sich gelassen, auch mit seinem Gesicht tritt er offen auf. Bis er politisches Asyl in Finnland erhielt, hatte er gute Gründe, sich versteckt zu halten. Silaev, Jahrgang 1985, geboren und aufgewachsen in Moskau, hat in Russland einen offenen Haftbefehl. Er gehört zu den Aktivist_innen, denen die Teilnahme an Protesten und militanten Aktionen im Wald von Chimki gegen dessen Abholzung zugunsten einer Autobahn vorgeworfen wird. Nachdem Silajev das Land verließ, ließ der russische Staat ihn auf eine Fahndungsliste von Interpol setzen, was zu seiner Verhaftung in Spanien führte. Erst starke Proteste führten dazu, dass er nicht ausgeliefert, sondern freigelassen wurde.
Silaev war jahrelang in der Moskauer Antifa-Szene aktiv, gilt bei manchen gar als „Mitgründer“ derselben. In seinem Text verarbeitet er die Erfahrungen, die er dabei machte. Diese bestehen vor allem aus verschiedenen Facetten ritualisierter und häufig beliebig erscheinender Gewalt und einem sich durchziehenden Hass, wahlweise auf „Bullen“, „Schwuchteln“, oder verfeindete Hooligans. Vor allem aber auf Autoritäten und die eigene Herkunft, letztlich auch sich selbst. Die Guten, man sucht sie hier vergebens. Motor des 130-seitigen Rausches, Silaev zufolge beeinflusst von den amerikanischen Beat-Poeten und dem Existenzialismus, ist eine allgemeine Verachtung für die Zeit, der man entstammt. Die übertriebene Gewalt, die der Text beschreibe, sei immer noch untertrieben, die schlimmsten Gewaltszenarien habe er außen vor gelassen, so Silaev. Die Schilderung einer post-sowjetischen Jugend bleibt allerdings nicht ganz nüchtern, immer wieder fließen religiöse Motive und faschistoide Ideen ein. Splitter vorgeblich anti-ideologischen Heldentums, das immer unberechenbar bleiben will, werden beispielsweise in Form von US-Punk GG Allin oder dem Zivilisationsfeind Unabomber (Theodore Kaczynski) eingestreut. Ein Versuch des Aufbegehrens im post-ideologischen Alltag. Eines ist der Text mit Sicherheit nicht: beschönigend und affirmativ. Viele beschreiben die Normalität und Allgegenwärtigkeit von Gewalt im Moskau der 00er Jahre ähnlich. Exodus gibt sich alle Mühe, kein einfacher literarischer Konsumartikel zu sein. Als das Buch zunächst in der russischen Literaturzeitung „Snamija“ erschien, war die Aufregung entsprechend groß. 2013 erschien der Text schließlich in deutscher Übersetzung bei dem Berliner Verlag Matthes und Seitz heraus und wird seitdem lebhaft diskutiert.
DJ Stalingrad: Exodus. Aus dem Russischen von Friederike Meltendorf. Berlin: Matthes & Seitz, 2013.
DJ Stalingrad, „Ischod“. In: Znamja, Nr. 9/2010.