Mörderische Kalkulationen

Ich kann bis heute nichts tun oder sogar denken, wenn ich Hunger habe oder es sehr kalt ist.“ Doroteja Palej, *1936, 1941-1945 in Leningrad

Die Hungerplan-Konferenz – die Neuordnung Europas und der Vernichtungskrieg

2. Mai 1941 – 2. Mai 2014

Ein Theaterstück des Historikerlabors

Doroteja Palej gehörte während des Zweiten Weltkrieges zu den Menschen in der Sowjetunion, die von den Folgen der Hungerplankonferenz betroffen waren. Die so bezeichnete Besprechung deutscher Militärs und Staatssekretäre in Berlin am 2. Mai 1941, bei der der Tod von „zig Millionen Menschen“ als Folge der deutschen Kriegsführung einkalkuliert wurde, wird momentan im Deutsch-Russischen Museum Karlshorst auf die Bühne gebracht. Zehn Historiker_innen verkörpern jeweils NS-Täter und ihre Rolle beim Zustandekommen des hier verdeutlichten, millionenfachen Tötens auf passive Art. Um „das Notwendige aus dem Lande“ herauszuholen, wurde die Unter- oder gar Nichtversorgung der „Untermenschen“ bewusst in Kauf genommen. Eine Montage aus Protokollen, Aktennotizen, Briefen, Erinnerungen und Kommentaren wird von den Historiker_innen verlesen und durch eigene Interpretationen ergänzt. Sie kommen dabei ohne Requisiten wie Uniformen aus. Man merkt – es handelt sich nicht um Schauspieler_innen, sondern um Historiker_innen, die ihre Arbeit, biografische Forschungen zu NS-Tätern, auf der Bühne zeigen und dabei versuchen eine kritische Distanz zum verkörperten Nazi einzunehmen. Um die Genese des antislawischen Rassismus zu verdeutlichen wird jedoch weiter ausgeholt, etwa wenn aus einem Geographie-Lehrbuch aus dem Jahre 1908 zitiert wird. Auch wird der besondere Charakter des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion verdeutlicht, etwa über den mörderischen sogenannten „Kommissarbefehl“ des Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel, der zu den hier porträtierten gehört.

Der oft perfide Jargon der Täter ist nicht immer einfach zu ertragen und es ist geradezu erleichternd, dass die beteiligten Historiker im Begleitheft etwas zu ihrem Blick auf „ihren“ Täter verlautbaren. Vor allem aber werden die Täter-Quellen mit Aussagen derer konfrontiert, die die Politik der Nazis überlebt haben. Texte von Tamara Bytschok, Berl Kotonski und dem anwesenden Viktor Sosow werden von Schüler_innen vorgetragen. Doroteja Palej, Überlebende der Blockade von Leningrad, spticht ihren Text selbst. Die knappen Schilderungen verdeutlichen das Leid, das die Nationalsozialisten verursachten und füllen eine Leerstelle, die weder NS-Dokumente noch Zahlen füllen könnten. Ohne diese beeindruckende Gegenperspektive stünden die NS-Dokumente und ihre verachtende Sprache zu sehr für sich.

Der Applaus fällt nach dem Einblick in die Karrieren der an der „Hungerplankonferenz“ beteiligten schwer. Verdient haben die Beteiligten ihn allemal, wie auch zahlreiches Publikum.

 

Die Hungerplan-Konferenz – die Neuordnung Europas und der Vernichtungskrieg

Zweiter Teil der Dokumentar-Theater-Trilogie „Über die Erfindung und Vernichtung des Untermenschen: Der organisierte Mord an Juden, Slawen, Sinti und Roma durch NS-Deutschland.“

Aufführungstermine:

Freitag, 9. Mai* um 11 Uhr / Samstag, 10. Mai um 19 Uhr / Sonntag, 11. Mai um 11 Uhr.

Karten: museum-karlshorst.de