Artikel in der Jungle World vom 2.1.2015:
Ellen Reim ist Redakteurin der Kreiszeitung Wesermarsch im niedersächsischen Nordenham. Für einen Artikel über die NS-Vergangenheit des von der Gemeinde geehrten und bis heute geachteten Nordenhamer Bürgers Rudolf Spohr hat sie den Journalistenpreis des Presseklubs Bremerhaven-Unterweser erhalten. Spohr, der 2006 gestorben ist, war unter anderem als Ordonnanzoffizier im Oberkommando des Heeres der Wehrmacht in der Ukraine und Russland im Einsatz.
Small Talk von Johannes Spohr
Sie wurden unter anderem für den Artikel über meinen Großvater ausgezeichnet. Waren alle Reaktionen so positiv?
Die Auszeichnung ist der äußerliche Höhepunkt der positiven Reaktionen, die ich erhalten habe. Die meisten waren privat und persönlich und haben mich gerade deshalb sehr berührt. Der Preis ist eine öffentliche Anerkennung, ein Kontrapunkt zu den Anfeindungen. Aber eine solche Anerkennung darf man nicht überbewerten.
Wie schätzen Sie die Diskussion ein, die der Artikel ausgelöst hat?
Es hat sich etwas getan, das zeigen mir die Reaktionen. Aber das geschieht eher im Stillen und im Einzelfall. Gerade bei älteren Menschen hat die Veröffentlichung für viel Gesprächsstoff gesorgt. Da findet eine Auseinandersetzung mit der persönlichen Geschichte und der eigenen Familie statt. Was den öffentlichen Raum angeht, so bin ich enttäuscht über die niedrige Qualität der Debatte. Es gibt nach wie vor in Nordenham keine erkennbare Absicht, eine Auseinandersetzung zu führen, die über den Fall Spohr hinausgeht.
Warum hat die Veröffentlichung ein solches Echo hervorgerufen?
Das Thema ist so konkret nie angesprochen worden. Nazigräuel gab es in den Augen der Nordenhamer nur anderswo, Antisemitismus und Rassismus ebenso, und Nazis kannte man sowieso nicht, und wenn, dann waren sie harmlos. Die Veröffentlichung über eine lokal so bekannte Person wie Ihren Großvater störte die Bequemlichkeit der Menschen.
1994 verlieh die Stadt meinem Großvater die Ehrenplakette in Gold, eine posthume Aberkennung lehnt sie nun ab. Was halten Sie davon?
Die Verwaltung hat dargelegt, dass sie keinen Anlass zum Handeln sieht, weil es keine Beweise für eine nationalsozialistische Gesinnung oder gar für Taten gebe. Die Politik hat nichts dazu gesagt und damit kundgetan, dass sie ebenfalls keinen Grund zum Handeln, ja nicht einmal zu einer Diskussion sieht.