„Ich möchte Teil keiner Jugendbewegung sein“. Vierter Neuköllner Salon gegen den Ausstieg
Monatlich zwischen September 2015 und März 2016 im Büro der Naturfreundejugend Berlin (Weichselstraße 13, 12045 Berlin) www.nfberlin-politik.de
Mit Beginn eines Lohnarbeitsverhältnisses oder der Übernahme von Sorgearbeiten für Kinder, Angehörige und Freund_innen lassen sich ehemals politisch engagierte Menschen in linken Zusammenhängen immer seltener blicken. Viele steigen aus – oft wird dies mit Zeitmangel begründet. Wir möchten einen Raum schaffen zum Austausch über die alltäglichen Zwänge und die strukturellen Bedingungen unserer Bemühungen, Lohn- und Sorgearbeit(en) zu organisieren. Wir wollen politisch – nicht moralisch! – über alternative Lebensweisen, widerständige Praktiken und kleine Kämpfe um eigene Freiräume diskutieren.
Der Salon war der traditionelle Ort bürgerlicher Öffentlichkeit. Oftmals von Frauen ausgerichtet, bot er die Möglichkeit des Räsonierens und der Selbstverständigung (meist männlicher) politisch denkender Menschen. Wie in den Vorjahren möchten wir mit Euch den Salon vom Kopf auf die Füße stellen und in guter, feministischer Tradition das vermeintlich Private zum Gegenstand (teil)öffentlicher politischer Verhandlung machen.
In diesem Jahr sollen die zunehmende Verunsicherung unserer Lebensbedingungen und die unterschiedlichen Ressourcen, die uns dabei zur Verfügung stehen, ins Zentrum gerückt werden – nicht ohne uns erneut auch unbequeme Fragen zu stellen. Was machen die Prekarisierung und die anderen Veränderungen der Arbeitswelt mit uns? Und was bedeuten Einkommensunterschiede etwa der Herkunftsfamilien in diesem Kontext? Lässt sich eine stetige Akademisierung der Szene beobachten und was heißt das für politische Arbeit? Was ist eigentlich mit beruflichem „Erfolg“? Wofür und für wen (lohn-)arbeiten wir – oder auch gerade nicht? Und warum fühlt man sich mit dem ganzen Kram eigentlich so alleine? Wir wollen diskutieren, wie stattdessen ein kollektiver Umgang damit aussehen kann – natürlich wieder bei Wein, Käse und gedämpftem Licht.
Beim Erben hört der Spaß auf. Auch in linken Kreisen. Die Auseinandersetzung mit Sterben und Erben wird meist nur innerhalb der eigenen Familie geführt. Wie gehen also Genoss*innen mit dem Erbe(n) um? Kaufen sie ihrer Kleinfamilie oder WG eine Wohnung? Spenden, stiften, verprassen sie ihr Erbe? Und was macht die Erkenntnis, dass Erben ein Faktor sozialer Ungleichheit ist, der viele bio- und westdeutsche Genoss*innen privilegiert, mit jenen, die nichts oder die Schulden ihrer Eltern erben? Fordern sie die Umverteilung oder schämen sie sich heimlich, weil Sozialneid Linken nicht steht? Wie wird angesichts all dieser Fallstricke in der WG, Finanzkoop, Politgruppe über Möglichkeiten der Verteilung oder Kollektivierung von Reichtum diskutiert und wie sehen diese Möglichkeiten konkret aus?
Warum machen Linke Karriere? Oder warum machen sie keine? Wir wollen uns über Motivationen und Voraussetzungen für das Bemühen um beruflichen Aufstieg austauschen: über Erwartungsdruck (z.B. von Eltern), das Erlangen von Prestige, Gestaltungsmacht und ökonomischen Ressourcen, über (Glücks)Versprechen von Lohnarbeit und die Fallen, die darin stecken. Welche guten Gründe gibt es, sich diesen Anrufungen zu entziehen und eine Karriere zu verweigern? Wie kann ein politisch reflektierter, solidarischer und nicht-stigmatisierender Umgang mit unterschiedlichen Entscheidungen in dieser Angelegenheit aussehen? Wie können wir alternative Anerkennungsstrukturen aufbauen, die uns vom sozialen Erwartungs- und Leistungsdruck befreien und emanzipatorisch handlungsfähig machen?
Schulen, Krankenhäuser, Psychiatrien, Gerichte und Soziale Arbeit haben als staatliche Einrichtungen die Funktion, zwischen krank und gesund, legal und illegal, abweichend und normal zu unterscheiden. Viele Linke haben diese Mechanismen sozialer Differenzierung und Ausschließung im Laufe ihrer politischen Arbeit kritisiert. Wie ändert sich ihr Blick, wenn sie beginnen, innerhalb dieser Institutionen zu arbeiten? Einerseits bieten diese Tätigkeiten eine Vielzahl an Möglichkeiten, Veränderungen anzustoßen und konkrete Unterstützung zu leisten. Andererseits werden sie damit Teil staatlicher Kontroll- und Disziplinierungssysteme und müssen sich an deren Regeln und Entscheidungsstrukturen halten. Wie gehen Richter_innen, Sozialarbeiter_ innen, Lehrer_innen und Psycholog_innen mit diesen Widersprüchen um? Wie vermitteln sie zwischen staatlichen Aufträgen und Bedürfnissen von Schüler_ innen, Klient_innen oder Patient_innen
Nicht nur Genoss*innen jenseits der 30 verschwinden häufig mit Berufstätigkeit und Familienplanung aus dem öffentlichen Netz der linken Szene. Auch umgekehrt ist es so, dass in weiten Teilen der Linken kaum Gruppen, Unterstützungsstrukturen und Orte bekannt sind, an denen ältere Genoss*innen und altersheterogene Gruppen sich austauschen und gemeinsam politisch aktiv sind. Wir möchten im Salon über Erfahrungen mit altersgemischten Gruppen diskutieren: Was hält sie zusammen? Was macht sie aus? Worin liegt das Potential, sich gegenseitig im Alltag zu unterstützen? Wie kann mit Überlastung umgegangen werden? Welche Erfahrungen werden im Umgang mit Alter und Tod gemacht? Inwiefern bildet die Auseinandersetzung mit älteren Genoss*innen die Herausforderung mit unterschiedlichen Politikstilen und linken Selbstverständnissen umzugehen?