Artikel in Neues Deutschland vom 9.3.2016:
Nach dem EU-Türkei-Gipfel warten die Flüchtlinge in Idomeni vergeblich darauf, weiterreisen zu können
Johannes Spohr, Idomeni (mit dpa)
Symbolträchtiger hätte das Wetter an der griechisch-mazedonischen Grenze nicht sein können: Über die zu Tausenden gestrandeten Flüchtlinge in Idomeni brach am Montag sintflutartiger Regen herein. Während die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten und der Türkei in Brüssel verhandelten, durchweichten Wassermassen die Zeltlager auf Wiesen und Feldern. Und bereits für diesen Mittwoch sind weitere Schauer angekündigt.
Die Witterung macht das Leben am Grenzzaun noch prekärer. Dennoch entsteht dort gleichzeitig eine stadtähnliche Struktur mit »Vierteln«, Treffpunkten, Märkten, Verwaltungen sowie Ausgaben für Essen und Kleidung. Die hygienische und gesundheitliche Lage bleibt jedoch katastrophal. Die Versorgung mit warmen Mahlzeiten wird vor allem von unabhängigen Basisstrukturen geleistet. Aid Delivery Mission kocht täglich für rund 8000 Menschen Essen und ist dafür dringend auf Spenden angewiesen. Viele Anwohner unterstützen die Arbeit. Gleichzeitig ist die Lage an der Grenze zu einem Wirtschaftsfaktor geworden, etwa für Taxiunternehmen, Geschäfte und die Tourismusbranche.
Die Geflüchteten und ihre Unterstützer richten sich auf eine längerfristige Krisensituation ein. Niemand kann momentan verlässliche Angaben darüber machen, wie viele Menschen inzwischen am Stacheldrahtzaun gestrandet sind. Es wird davon ausgegangen, dass es etwa 17 000 sind, die sich in zwei neu errichteten Militärcamps und größtenteils in einem Lager am fast durchgehend geschlossenen Grenzübergang in Idomeni befinden.
Die Grenze konnten zuletzt nur sehr wenige Menschen passieren, am Sonntag sollen es 320 gewesen sein. Die Kriterien für die Weiterreise wurden von den mazedonischen Behörden immer weiter eingeschränkt. Seit Montag lässt Mazedonien laut Deutscher Presseagentur keine Menschen mehr durch. Auch der EU-Gipfel, der in der Nacht zum Dienstag zu Ende ging, brachte keine Klarheit. Wie an den Tagen zuvor saßen am Dienstagmorgen wieder Hunderte Menschen vor dem Grenztor. Es sind diejenigen, die am 18. Februar in Idomeni angekommen sind und nach dem geltenden Vormerksystem nun als nächste dran wären, um durch das Grenztor zu gehen. Doch bis zum Mittag öffnete es sich nicht.
Mittlerweile sind auch diverse Herkunftsstädte aus Syrien und Irak zum Ausschlusskriterium erklärt. So wurden Menschen aus Homs und Damaskus abgewiesen, diese Städte seien »sicher«. Ebenso wurde mit denjenigen verfahren, die aus Kurdengebieten in Irak oder aus Bagdad kommen. Abgewiesen wird zudem jede Person, der nachgewiesen werden kann, dass sie sich mehr als 30 Tage in der Türkei oder in Griechenland aufgehalten hat. Wer keine Papiere mehr besitzt, die das belegen können, wird beispielsweise durch das Durchsuchen der Telefondaten überprüft.
Immer wieder werden Geflüchtete mit Bussen nach Athen gebracht, gleichzeitig wird die Reise an die Grenze erschwert. In Athen räumt die Polizei derzeit den Viktoria-Platz, der für viele ein Anlauf- und Austauschpunkt wie auch ein Ort zum Campen war. Zur Registrierung der in Griechenland Ankommenden richten die Behörden derzeit landesweit diverse weitere »Hotspots« ein.
Bekannt geworden sind inzwischen diverse Fälle von extremer Polizeigewalt auf der mazedonischen Seite der Grenze. Anscheinend hat es die mazedonische Polizei dabei vor allem auf diejenigen abgesehen, die der Presse Interviews über die Proteste und über Fälle von Polizeigewalt in der vergangenen Woche gegeben haben. Zwei Betroffene berichten davon, dass sie beim legalen Grenzübertritt wiedererkannt und anschließend von mehreren Polizisten geschlagen und gefoltert worden seien. Sie befinden sich nun wieder in Griechenland.
Auf die ganz natürlichen Gefahren für die Menschen, die derzeit in Idomeni campieren, wies am Dienstag erneut das UN-Flüchtlingshochkommissariat hin. Das Unwetter von Montag habe wieder einmal daran erinnert, dass »wir es hier mit menschlichen Wesen zu tun haben«, erklärte der UNHCR-Sprecher in Idomeni, Babar Baloch. »Diese Flüchtlinge mögen robust wirken, aber so etwas fordert von ihnen einen hohen Preis, in Hinsicht auf ihre Gesundheit und Hygiene, besonders bei den Kindern.« Die Menschen, die hier allen Widrigkeiten zum Trotz ausharren, hofften immer noch, dass sich das Grenztor nach Mazedonien – und damit nach Europa – öffnet. »Aber niemand teilt ihnen mit, was Sache ist, womit sie zu rechnen haben.« Mit dpa