Ein Interview mit Miklós Klaus Rózsa über Antisemitismus in der Linken
Erschienen am 29.3.2014 auf rosalux.de
Miklós Klaus Rózsa wurde 1954 in Ungarn geboren. Seine jüdischen Eltern flohen im Zuge des Volksaufstandes 1956 mit ihm in die Schweiz. Sowohl als Fotojournalist wie auch als linker Aktivist erlebte Rózsa immer wieder Polizeigewalt, die ihn letztlich dazu bewog, nach Ungarn zurück zu gehen. Auch der Antisemitismus der Linken in der Schweiz beunruhigte ihn. Rózsa lebt heute in Budapest. Im Januar 2014 erschien das ihn porträtierende Künstlerbuch Miklós Klaus Rózsa.
von Johannes Spohr
Wann haben Sie sich zum ersten mal bewusst mit Antisemitismus in der Linken beschäftigt?
Bei einem Treffen mit alten Genossen in Zürich vor mehr als zehn Jahren. Wir sprachen über unsere linke, autonome und radikale Politik der vergangenen Jahrzehnte, über Erfolge und Niederlagen. In Bezug auf unsere unhinterfragte Unterstützung jeglicher antiimperialistischer Kämpfe fiel unsere Bilanz verheerend aus. Es war ein großer Bruch, bei dem wir viele unserer Positionen revidierten.
Das erste Mal persönlich Bezug genommen habe ich bereits 2000. Ich war damals Präsident des Gewerkschaftsbundes Zürich und legte als solcher ein Veto gegen den Auftritt von Leila Chaled auf der 1. Mai-Kundgebung ein. Eine Flugzeugentführerin, die bei einer Selektion von Entführten nach Juden und Nicht-Juden dabei gewesen ist – das erinnerte mich an Auschwitz und damit an etwas, das meine Familie durchgemacht hat.
Obwohl ihr Vater und ihr Großvater als einzige in ihrer Familie Auschwitz überlebt haben, haben sie diesen Zusammenhang bis dahin nie hergestellt. Woran lag das?
Ich habe erst sehr spät mit meinem Vater über seine genauen Erfahrungen gesprochen. Während einer Autofahrt aus der Schweiz nach Budapest fuhren wir an Dachau vorbei, wo er am Kriegsende als Zwangsarbeiter für BMW befreit wurde. Er redete zum ersten mal sehr präzise und persönlich über die Erlebnisse, ich wiederum erzählte ihm von Erfahrungen, die ich als Kind in einer repressiven und reaktionären katholischen Klosterschule in Bayern machen musste. Es war ein sehr eindrücklicher Moment, von dem an sich unsere Beziehung gewandelt hat. Sie war nun von gegenseitigem Respekt und viel Liebe geprägt.
Wie sind sie damals dazu gekommen, sich in der radikalen Linken zu engagieren?
In Zürich erlebte ich – im Anschluss an den langjährigen Aufenthalt in der Bayrischen Klosterschule – die Spätausläufer der 68er-Bewegung mit. Ich kam in Kontakt mit der Bewegung für ein autonomes Jugendzentrum und wurde Teil von ihr. Ich fühlte mich sehr wohl unter den offenen, langhaarigen Menschen. Das Zentrum war der erste Ort, den ich jemals als angenehm empfunden habe. In Zürich machte ich auch erste Erfahrungen mit staatlicher Repression, als eben jenes Zentrum geräumt wurde. Später nahm ich an Schulungen der Revolutionären Marxistischen Liga teil und wurde seitdem, wie ich später erfuhr, vom Staatsschutz observiert.
Wie war ihre Haltung zu Israel damals?
Beim Attentat auf die Israelische Mannschaft während der Olympischen Spiele 1972 war ich 18 und in einer Phase der Politisierung. Ich schrieb damals einen Leserbrief, in dem ich mich gegen den Abbruch der Spiele aussprach. Ich argumentierte, man könne gar keine Veranstaltungen mehr stattfinden lassen, wenn diese aufgrund von Opfern abgebrochen würden und führte Vietnam als Beispiel an. Heute schäme ich mich für den Unsinn, den ich damals geschrieben habe und denke, man hätte sie auf jeden Fall abbrechen und den Anschlag als antisemitisch verurteilen sollen.
Haben Sie damals Gegenstimmen zum antiimperialistischen und anti-israelischen Mainstream der Linken wahrgenommen?
Nein, Widerspruch gab es in dieser Zeit nicht. Tonangebend war eine völlig unkritische pro-palästinensische Haltung. Gefragt wurde nur, wogegen, nicht jedoch wofür genau eine Befreiungs-Bewegung war, und was mit ihren Sieg verbunden wäre. Der Iran ist bis heute das klassische Beispiel: Nach dem erfolgreichen Sieg über den Schah wurde die Situation eher schlimmer als besser.
Sie leben heute in Budapest und haben nie aufgehört, sich als linker Aktivist zu engagieren. Wie gestaltet sich die Situation heute für Sie?
Ich erlebe den Umgang mit dem Nationalsozialismus hier in Budapest als wesentlich fortschrittlicher als in der Schweiz. Das liegt vielleicht auch daran, dass hier wirklich jeder und jede eine direkte Verbindung zum Zweiten Weltkrieg in der Familie hat. Hinzu kommt, dass Juden in linken Zusammenhängen etwas völlig selbstverständliches sind. Ich war völlig überrumpelt vom den Fakt, dass antifaschistische Demonstrationen hier meist Sonntags stattfinden, um auf die vielen sich beteiligenden Jüdinnen und Juden Rücksicht zu nehmen. In der Schweiz haben viele – und auch ich – sich in linken Zusammenhängen nicht als Jude geoutet. Die jüdische Gemeinde ist hier in großen Teilen sehr progressiv, selbstbewusst und offensiv. Das war etwas neues für mich, und ich genieße es.
Wie erleben Sie den viel zitierten Antisemitismus im heutigen Ungarn?
Überhaupt nicht. Das jüdische Leben ist ein fester Bestandteil vom Budapester Leben. Darum kann ich das nicht ganz ernst nehmen, wenn man von heftigem Antisemitismus spricht. Ich habe, seitdem ich hier wohne, nur von sehr wenigen Angriffen auf jüdische Menschen mitbekommen. Sicherlich gibt es rechte und antisemitische Tendenzen, letztere erlebe ich als eher schwächer als sonst in Europa.
Das Buch:
Christof Nüssli/Christoph Oeschger: Miklós Klaus Rózsa, Leipzig/Zürich: Spectorbooks/cpress 2014, Deutsch/Englisch, 600 S., € 42,-
Hier ein Artikel darüber in der Schweizer WochenZeitung.
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