„Fi-Fa-Fusel“

Es gibt nur eine Antwort auf die Frage: »Was kann man tun, um das Strafsys­tem zu verbessern?« Nichts. Ein Gefängnis kann nicht verbessert werden. Mit Ausnahme einiger unbedeutender, kleiner Veränderungen kann man absolut nichts tun, als es zu zerstören.

Peter Kropotkin

 

Was für Zeiten: In der Ukraine stürzen Menschen unter „Revolution“-Rufen Lenin-Denkmäler. In der Yogastunde wird nach der „Tiefenentspannung“ mit einem Lächeln gehaucht: „Dass Deutschland gewonnen hat wisst ihr?“ Und auf der von der Gefängnisleitung gebilligten und in der JVA Tegel gedruckten Gefangenenzeitung „Der Lichtblick“ erscheint Anfang letzten Jahres obiges Zitat.

Das Gefängnistheater AufBruch sorgt nun für Nachschub, der durch einen Zufall grotesk anmutet: In der JVA Tegel, in der vor wenigen Wochen von Gefangenen unter erschwerten Umständen eine gewerkschaftliche Vertretung gegründet wurde, wird ein Stück über Arbeiteraufstände aufgeführt.

Bereits seit 2001 inszeniert das freie und unabhängige Theaterprojekt AufBruch Aufführungen mit Insassen Berliner Gefängnisse, vor allem in der JVA Tegel. Aber auch „draußen“ gab es bereits einige Aufführungen, an denen auch professionelle Schauspieler_innen beteiligt waren.

Das Stück „Die Maschinenstürmer“ verarbeitet historische Texte vor allem von Ernst Toller (Die Maschinenstürmer, Masse-Mensch, Der deutsche Hinkemann), aber auch von Volker Braun, Georg Büchner und Heiner Müller. Ernst Toller, Revolutionär und Beteiligter der Münchner Räterepublik, saß selbst fünf Jahre im Festungsgefängnis Niederschönefeld, wo er schrieb: „Ich werde mich nie an äußere ‚Gefangenendemut‘ gewöhnen, und ich bin, trotzdem ich oft traurig und verbittert werde, doch froh drum, daß ich mich nicht ‚gewöhnen kann’“. Der Gewöhnung für eine Weile zu entfliehen ist auch die Chance, die sich den Gefangenen beim Theaterspielen bietet. Das in der kommenden Wochen aufgeführte expressionistische Stück, das ebenfalls im Gefängnis entstand, behandelt die Lebensumstände und der englischen Textilarbeiter im frühen industriellen Kapitalismus: Menschen sollen vermehrt durch Maschinen, qualifizierte Arbeiter durch Ungelernte ersetzt werden. Zwei Arbeiterführer mobilisieren die Massen und konkurrieren dabei: Jimmy Cobbett setzt auf Verhandlungen um die Arbeitsverhältnisse zu verändern, John Wible auf die Zerstörung der Maschine.

Die Inszenierung findet in und vor der ehemaligen Teilanstalt 1 statt, die nach zahlreichen erfolgreichen Klagen Inhaftierter 2012 geschlossen wurde. In einigen der 5,25 Quadratmeter großen Zellen ist heute die Kunstausstellung eines Gefangenen zu sehen. Das Stück beginnt inmitten dieser bedrückenden Kulisse, fortgeführt wird es im Hof mit Sitztribüne und einfacher Requisite. Die Gefangenen setzen starke eigene Akzente zwischen dem nicht ganz einfachen textlichen Stoff über Hungerlöhne, Unsicherheit und Aufstand. So zum Beispiel, wenn sie das Lied „Mavi Mavi“ des Sängers İbrahim Tatlıses singen und dazu tanzen. Auf einem der Flugblätter, die durch die Reihen gereicht werden, ist neben dem Konterfei Ernst Tollers zu lesen: „Wir müssen kämpfen, weil wir Menschen sind“.

Die historischen Texte seien nicht ganz einfach einzustudieren gewesen, sagt mir einer der Beteiligten im anschließenden Gespräch. Sie täglich nach der Arbeit einzustudieren habe ihm Freude bereitet, sei aber auch eine Belastung gewesen. „Ich selbst werde nicht nochmal dabei sein. Aber ich habe großen Respekt vor Peter [Atanassow, Regisseur], dass er so unterschiedliche Leute, die noch nicht Theater gespielt haben, dazu bringt.“ Von der Gründung der Gefangenengewerkschaft haben die Beteiligten noch nicht gehört. „Es ist ja auch nicht so einfach, sich hier zu versammeln“, sagt ein anderer Inhaftierter. Doch in Bayern, wo er auch bereits gesessen habe, seien die Verhältnisse viel härter. Hier könne man zumindest mit den Geräten der Firma Telio telefonieren, das sei dort undenkbar gewesen. Von den Gruppenleiter_innen, die Kontakt zu den Gefangenen pflegen sollen und unter anderem für Prognosen verantwortlich sind, sei die Teilnahme an Theater nicht honoriert worden, man sei eher Skepsis begegnet. „Wer hat die Arbeiter aufgewiegelt? – Sie sollen sie Maschinen zerstören“, ruft es nun bis zum 11. Juli im Gleichklang über den Gefängnishof. Wer damit rechnet, dass der Hauch von Revolte in Tegel sich nicht weiter trägt, sollte sich das Stück unbedingt bis dahin anschauen.

 

Die Maschinenstürmer

nach einem Drama von Ernst Toller

Maschinen statt Menschen.
Hungerlöhne. Unsicherheit. Aufstand.

Premiere: Mittwoch, 18. Juni 2014 um 18 Uhr
Weitere Vorstellungen: 20., 25., 27. Juni und 2., 4., 9., 11. Juli 2014.
Beginn: jeweils um 18 Uhr. Einlass: 16.30-17.30 (Kein Nacheinlass!)
Dauer: ca 70 Minuten. Im Anschluss besteht die Möglichkeit zum Publikumsgespräch.

Link zum Stück