Artikel in der Jungle World vom 27.11.2014:
Im russischen Murmansk wurde eine NGO als »ausländischer Agent« eingestuft. Damit droht ihrer Arbeit das Aus.
von Johannes Spohr
»Ausländischer Agent« – nach dem Willen der Murmansker Staatsanwaltschaft soll die Humanistische Jugendbewegung (GDM) die erste Organisation im Gebiet Murmansk sein, die durch eine erzwungene Registrierung beim Justizministerium stigmatisiert wird. Das zuständige Gericht gab der Staatsanwaltschaft in einem Urteil vom 12. November recht und setzte sich damit auch gegen das Justizministerium durch. Dieses ist die eigentlich zuständige Behörde für die Überprüfung von NGOs, es hatte bei einer Prüfung im Frühjahr keine Veranlassung gesehen, gegen GDM vorzugehen. Die Vorsitzende der Staatsanwaltschaft in Murmansk, Olga Prokina, beteuerte jedoch im Gespräch mit Arktik-TV, die Organisation erfülle beide Voraussetzungen, um als »ausländischer Agent« deklariert zu werden: »Sie erhalten Finanzierung aus dem Ausland und sie sind in politische Aktivitäten involviert.« Die Artikel, die die GDM in den Medien publizierte, wiesen deutlich auf den politischen Charakter ihrer Aktivitäten hin. Die Entscheidung des Gerichts basiert auf einem »psychologisch-linguistischen« Gutachten eines »Experten«, der in den von GDM herausgegebenen Zeitungen »heimliche Aufrufe für Aktionen gegen die regierende Partei« zu entdecken meinte. Auch würden die Wörter »Rechte« und »Freiheit« häufig gebraucht. Die Organisation handle damit »politisch«.
Die Konsequenzen einer entsprechenden Registrierung können die Arbeit betroffener Organisationen quasi stilllegen. Dazu gehören etwa eine intensive Kontrolle der Finanzen und der Zwang, sich in Publikationen als »ausländischer Agent« ausweisen zu müssen. Auch das Mieten von Räumen wird erschwert, zudem laufen andere NGOs, die mit einer gebrandmarkten NGO kooperieren, Gefahr, ebenso als »ausländischer Agent« klassifiziert zu werden. Bisher ist kein Verfahren festgelegt, wie betroffene Organisationen davon wieder befreit werden können. Selbst dann nicht, wenn auf Geld aus dem Ausland verzichtet wird.
Sollte das Urteil nicht erfolgreich angefochten werden, werde man die Organisation notgedrungen auflösen, sagt Tatiana Kulbakina, ein Mitglied der GDM. Allerdings werde man sich mit der Entscheidung nicht abfinden und in Revision gehen. Die Organisation insistiert, ihre Aktivitäten lägen in den Bereichen Kultur und Bildung. Worauf genau das Urteil beruhe, sei den Mitgliedern bisher nicht mitgeteilt worden. Zudem habe das Gericht ein zusätzliches, zweites Gutachten nicht berücksichtigt.
Auch andere NGOs aus Murmansk wurden seit 2012, seitdem das Verfahren eingeführt wurde, teilweise mehrfach überprüft; etwa die Umweltorganisation Nature and Youth und die LGBT-Organisation Maximum. Zu einem Gerichtsverfahren ist es bisher allerdings in keinem Fall gekommen. Zu den langjährigen Kooperationspartnern der GDM gehört die deutsche Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS), die internationale Weiterbildungsveranstaltungen organisiert. Tiina Fahrni, Leiterin des Büros der RLS in Moskau, betonte, die begutachtete Menschenrechtszeitung sei nicht von der RLS gefördert worden, wie in Medienberichten behauptet. »Wir werden den Ausgang des Beschwerdeverfahrens abwarten und das weitere Vorgehen abwägen«, sagte Fahrni der Jungle World.
Tatiana Kulbakina wehrt sich zudem gegen die Unterstellung, die GDM handle im Interesse ausländischer Organisationen: »Was wir tun, tun wir, weil wir es wollen. Wir versuchen, kritisches Denken zu fördern, die Regierung sieht dies jedoch als Bedrohung staatlicher Politik.« Auch der Journalist Aleksandr Borisov aus Murmansk ist nicht mit der Entscheidung des Gerichts einverstanden: »Auf Grundlage der Meinung eines mysteriösen Experten wird GDM stigmatisiert – das ist eine Schande.« Er selbst schätze die Arbeit der GDM, habe internationale Seminare besucht und auch selbst zahlreiche Veranstaltungen mitorganisiert. »GDM hat mir geholfen, meine Persönlichkeit zu entwickeln und letztlich auch dabei, ein Journalist zu werden«, sagt Borisov. Es wäre auch für ihn persönlich traurig, müsste die Organisation ihre Arbeit einstellen.