An Lanzmanns Humor besteht indes nach wie vor kein Zweifel: In seiner dem Film vorangehenden Dankesrede verkündet er – auch wenn es bereits kurz vor 23 Uhr ist und selbst das Lächeln der Moderation einen zunehmend müde-ungeduldigen Ausdruck zu verzeichnen hat – seine Liebe zu Polar-, Braun- und russischen Bären und verliest mehrere Seiten mit Namen derjenigen Menschen, ohne die er seine Arbeiten mitnichten hätte realisieren können. Aus beidem darf man herauslesen, dass sich Lanzmann zwar sehr über die Auszeichnung freut, aber auch weiß, dass davon nicht mehr abhängt, ob er und sein Werk Anerkennung und Verbreitung finden. So eitel er manchem in der Vergangenheit schon erschienen sein mag, das große Herz eines großen Filmemachers wird mit dem Alter sichtbarer – fast könnte es Sanftheit genannt werden, die die Eindringlichkeit seiner Person und seiner Filme verfeinert, ohne deshalb ihre Schärfe zu verwischen. Die symbolische Veranstaltung, die da im grobmotorischen Berlinale-Glamour stattfindet, kann weder diese Eindringlichkeit noch die Dimension von Lanzmanns Werk wirklich fassen. Nur gut, dass die riesenhafte Übertragung von Claude Lanzmanns Gesicht bei der Verfolgung der Laudatio wenigstens ab und an die nervöse Leinwand-Animation ausblendet, mit der die dafür Zuständigen der Berlinale leider selbst keinen Blumentopf gewinnen würden. So wurden die fast 1.600 Zuschauer im Berlinale-Palast auch der leisen Träne der Rührung gewahr, die sich aus Lanzmanns rechtem Auge stahl – Ausdruck der Menschlichkeit eines Menschen, dessen Werk, so nannte es Ulrich Gregor, früherer Panorama-Chef, die Menschheit noch für Jahrhunderte prägen wird. Eine schöne Hoffnung.
„Ich liebe Bären“
Selbst ein Bär, ein alt gewordener, schwer und gleichzeitig elegant, gerührt, nimmt Claude Lanzmann am Abend des 14. Februar 2013 die Berlinale-Auszeichnung für sein Lebenswerk entgegen – den goldenen Ehrenbären. Lanzmann ist 87 Jahre alt, er hat erst kürzlich einen neuen Film fertiggestellt: „Der Letzte der Ungerechten“. Ein Film über Jakob Murmelstein, den letzten Judenältesten des KZ Theresienstadt. Ein weiterer Film, der seinen Ursprung im Material von „Shoah“ hat – so wie vor ihm „Der Karski-Bericht“, „Ein Lebender geht vorbei“ und „Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr“. Alle Filme laufen im Hommage-Programm der diesjährigen Berlinale, letzterer wird anlässlich der Preisverleihung im Berlinale-Palast noch einmal gezeigt. Bei seiner ersten Aufführung in Berlin im Jahr 2002 hatte Lanzmann noch sein Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass das Publikum nicht genügend gelacht habe – schließlich habe doch auch Yehuda Lerner gelacht, als er bei seinen Schilderungen über den Häftlingsaufstand im Vernichtungslager Sobibor darüber berichtet, wie er als 17-Jähriger und fast Verhungerter dem riesigen SS-Mann Greischutz mit einer Axt den Schädel spaltet und es kaum glauben konnte, als der Mann, buchstäblich wie ein gefällter Baum, vor ihm zusammensackt. Auch dieses Mal lacht niemand, aber es wird Lanzmann wohl nicht mehr überrascht haben.