Mach’s vor deinem Tod!

Machs nach deinem Leben ist mir doch scheißegal
Ihr Christen seid doch viel zu nett oder ihr seid zu brutal
Machs nach deinem Leben kommt mir als Punk ganz recht
dann brauch ich dein Gebet nicht hörn und niemals dein Gesicht zu sehn

Dackelblut – Mach’s nach deinem Leben

Der Austritt aus der Kirche ist in Berlin leicht, kostenlos – und verwirrend.

Christlicher Fundamentalismus ist in Deutschland in der Offensive. Zwar regen sich gegen christliche Großveranstaltungen wie den Papstbesuch in Berlin oder die „Tausend-Kreuze-Märsche“ vereinzelt Proteste, aber kollektive Kirchenaustritte wie der „Austritt zum Hasenfest“ im April 2012 unter anderem in Mainz, Luxemburg München sind eher die Ausnahme und finden wenig Beachtung.

Die Zugehörigkeit zur Kirche scheint unter mehr oder weniger christlich sozialisierten Menschen eher als Privatsache gehandhabt zu werden – dazu gehört auch, dass christlich begründete Feste wie „Weihnachten“ auch von vehementen Kritiker_innen der Kirche und des Christentums gern begangen werden – eine Entscheidung, die außerhalb jeder Kritik steht.

Umso überraschender, dass sich die Zahl der Kirchenaustritte seit Jahren in einem eindeutigen Aufwärtstrend befindet: verlor die evangelische Kirche in Berlin im Jahr 2005 insgesamt bereits 5 448 ihrer Mitglieder durch Austritt, waren es 2010 bereits 7 319. Bei der katholischen Kirche verdoppelte sich die Zahl der Austritte im selben Zeitraum beinahe: von 2 297 im Jahr 2005 kletterte sie auf 5 038 (siehe www.kirchenaustritt.de).

Ein naheliegender Grund für einen Kirchenaustritt ist das Geld, das man selbst in der Regel dringend für anderes benötigt und das bei der Kirche ohnehin in falscher Hand ist. Bei einem Einkommen von 25.000 Euro im Jahr bringt ein Kirchenaustritt immerhin 173 Euro Netto. Wer dem Glauben anhängt, mit der Steuer geschehe doch sicher irgendetwas „Soziales“, liegt falsch: Lediglich etwa 10% der Kirchensteuer werden für öffentliche soziale Zwecke ausgegeben. Ein sehr aktueller und greifbarer Grund, die Kirche endlich zu verlassen, könnte auch das immer noch nicht anerkannte Streikrecht bei kirchlichen Arbeitgebern sein. Das Bundesarbeitsgericht entschied im November 2012, dass die Religionsgemeinschaften auch weiterhin „ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsverfahren“ praktizieren dürfen, so lange garantiert sei, dass die Gewerkschaften dabei organisatorisch eingebunden würden und die Ergebnisse dann für die gesamte Branche verbindlich seien.

Kirchenaustritt in Neukölln: Ein Selbstversuch

Die Kirche hat mich bis vor kurzem vor allem deshalb als stilles Mitglied halten können, weil sich der Mythos, ein Austritt sei mit Kosten verbunden, hartnäckig mit Faulheit und einer mangelnden aktiven Kritik zusammengetan hatte.

Erst eine aktive Unterstützerin kirchenverlassender Maßnahmen erinnerte mich schließlich mit der mit rüffelndem Unterton gestellten Frage „Was, du bist noch in der Kirche?“ und dem Hinweis auf die tatsächliche Höhe der Beiträge an einen länger gehegten Austrittswunsch. Trotzdem der Austritt selbst ungeahnt leicht war, gab es einige Vorarbeiten zu erledigen: Eine bisher versäumte Meldung in der Stadt Berlin gehörte dazu – das leidige Stigma musste noch einmal angeben werden. Religion: evangelisch. Auf dem Bildschirm konnte ich sehen, wie der ungewöhnlich unkomplizierte Beamte vier Konfessionen anklicken konnte. Ich war irritiert: Welcher evangelischen Konfession gehöre ich an? Der evangelischen oder der evangelisch-lutherischen? Ich wusste ja nicht mal, was die Unterschiede sind.

Dann der große Tag im Amtsgericht Neukölln: Justizbeamte mustern Ausweise und erklären den Weg. Nach nur kurzer Wartezeit vor der Tür mit dem schlichten Schild „Kirchenaustrittsstelle“, bittet man mich und meine Unterstützungsperson herein. Etwas verloren stehen wir in dem mit Akten vollgetürmtem Raum – man weiß schon, was mein Anliegen ist. Ich gebe also an, aus der „evangelischen Kirche“ austreten zu wollen und man ist bereit, mir meinen Wunsch zu erfüllen. Die ausführende Beamtin klagt über die vielen Aufgaben, die sie in diesem zugerümpelten Büro zu erledigen habe. Täglich kämen zwischen zwei und zehn Personen zum Austreten. Aber sie stellt keine Fragen und versucht auch nicht, mich zum religiösen Verbleib zu überreden: der Austritt, ein traditioneller Verwaltungsakt.

Ich bekomme schließlich zwei Nachweise ausgehändigt. Einer kommt zum Finanzamt, „Den anderen unbedingt gut aufbewahren!“. Ratsam, sonst könnte es mir wohl wie Joachim John ergehen: Obwohl er bereits 1974 in Frankfurt aus der Kirche ausgetreten war, forderte das Finanzamt Berlin nach seinem Zuzug die Entrichtung von Kirchensteuern. Nur der zufällige Fund eines Beweises im Familienstammbuch konnte ihn vor den unfreiwilligen Kosten bewahren.

Am Ende verlasse ich das Gericht, ohne dass jegliche finanziellen Forderungen an mich gestellt werden.

Bei einem Blick auf meine letzte Gehaltsabrechnung stellte ich anschließend allerdings fest, dass dort unter „Konfession“ „rk“ (römisch-katholisch) vermerkt war. Offenbar habe ich also viele Jahre Kirchensteuern für eine Kirche entrichtet, in der ich niemals Mitglied war. Die Verwunderung wuchs mit dem Blick auf die folgende Abrechnung: Hier stand nun plötzlich „ev“. Zu allem Überfluss stand dann auf der im gleichen Zeitraum angefragten Lohnsteuerkarte „lt“, also evangelisch-lutherisch. Bin ich aus einer Kirche ausgetreten, dessen Mitglied ich nie gewesen bin? Ist es also möglich, wahllos aus allen möglichen Kirchen, womöglich sogar mehrfach austreten? Kann eine so herbeigeführte Erhöhung der Austrittszahlen womöglich sogar ein Zusammenbruch des konfessionellen Systems herbeiführen?

Um nach vollzogenem Austritt dann auch tatsächlich Kosten zu sparen, blieb noch der Gang zum Finanzamt und der zu ändernde Eintrag in die Lohnsteuerkarte. Trotz meiner chaotischen Konfessions-Situation kam es hier zu keinerlei Komplikationen. Anscheinend lässt sich also nicht nur aus einer beliebigen Kirche austreten, sondern auch ebenso beliebig Beitragszahlungen stoppen. Ich frage mich, ob ich denn die offenbar für die römisch-katholische gezahlten Beiträge zurückfordern kann?

Die Kirche scheint offensichtlich ein letzter Hort des Chaos und der Ungewissheit in der inzwischen scheußlich vernetzten Welt der Bürokratie zu sein.

Infos: www.kirchenaustritt.de