Artikel von Claudia Krieg und Johannes Spohr in Der Freitag, Ausgabe 32/13 vom 08.08.2013:
Freiheitsentzug Die Sicherungsverwahrung ähnelt noch immer stark der Strafhaft – trotz anderer Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Jetzt wollen Betroffene klagen
Es ist die Haft nach der Haft. Die Gefängnisstrafe ist abgesessen, aber wer als gefährlich gilt, kann in die sogenannte Sicherungsverwahrung kommen. Eigentlich soll sich diese deutlich von der Strafhaft unterscheiden – in der Praxis aber ähneln sich die Unterbringungsbedingungen. Betroffene wollen sich nun juristisch dagegen wehren.
Den Stein ins Rollen gebracht hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Der hatte im Jahr 2009 kritisiert, die Sicherungsverwahrung in Deutschland gleiche zu sehr dem gewöhnlichen Haftvollzug.
Zwei Jahre später gab das Bundesverfassungsgericht einer Klage von Betroffenen recht und erklärte die geltenden gesetzlichen Regelungen für verfassungswidrig. Die Bundesländer mussten nun bis zum 31. Mai 2013 ein „freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept“ entwickeln, das so weit wie möglich den „allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst“ sein soll.
8,6 Quadratmeter
Die Länder machten sich an die Arbeit, doch nach Ablauf der Frist zeigt sich: Verbessert hat sich nur wenig. In Berlin wurde auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Tegel ein neues Gebäude gebaut. Doch bezugsfertig wird es wohl erst Ende des kommenden Jahres. Der Berliner Senat erklärt das mit der kurzen Planungsphase.
Trotzdem zeigte sich am 31. Mai ein zufriedener CDU-Justizsenator Thomas Heilmann. „Wir erfüllen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts pünktlich“, verkündete er stolz. Weiß er, wie es in der Teilanstalt 5 der JVA Tegel, die zur Sicherungsverwahrung umfunktioniert wurde, derzeit aussieht? Nach wie vor sitzen dort 36 Männer hinter Gittern.
Bis der Neubau fertig ist, wird munter improvisiert: Die normalen Haftzellen sind gerade mal 8,6 Quadratmeter groß, die Sicherungsverwahrten bekommen daher zwei dieser Zellen. Um 21.30 Uhr jedoch werden die Türen geschlossen, die Verwahrten müssen sich für einen Raum entscheiden. Deswegen beschränkten sich die meisten von vornherein auf eine Zelle, berichtet der Sprecher der Sicherungsverwahrten in Tegel, Christian Templiner. „Wenn überhaupt, nutzen höchstens 25 Prozent der Häftlinge hier den zweiten Raum.“
Zelle statt Zimmer
Für Templiner ist klar: Was derzeit versucht wird, um die Gesetzesvorgaben zu erfüllen, ist vollkommen unzureichend. „Ein Raum mit einem Gitter davor ist kein Zimmer, sondern eine Zelle“, sagt er. „Das muss doch jedem klar sein.“ Er kann keine E-Mails scheiben, hat kein Telefon.
Und wie sieht der Neubau für die Sicherungsverwahrten aus? Für jeden gibt es einen 20 Quadratmeter großen Einzelraum mit großen Fenstern und Sanitärzelle, dazu Gemeinschafts- und Therapie-, Werkstatt- und Sporträume, ein Arztsprechzimmer mit Untersuchungs- und Behandlungsraum und einen Außenbereich mit Sport-, Zier- und Nutzgartenflächen. Sogar Kleintiere sollen hier gehalten werden können. Was nach Reha-Einrichtung klingt, endet spätestens am Wachturm und dem Stacheldraht auf den schweren Klinkermauern, die das Gefängnisgelände umschließen.
Aber es sind nicht nur Äußerlichkeiten, die an die Strafhaft erinnern lassen. Die Sicherungsverwahrten werden nachts eingeschlossen, sind in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht. Nur vier Mal im Jahr dürfen sie in Begleitung eines Beamten für einige Stunden raus. Immerhin können sie sich selbst bekochen, dürfen sich zehn Stunden pro Monat besuchen lassen (statt einer im Strafvollzug), und die Sicherungsverwahrten erhalten auch 75 Prozent mehr Lohn als Strafgefangene. Mehr als 300 Euro pro Monat dürfen sie jedoch nicht verdienen.
Bis nach Karlsruhe
Auch sollen die Sicherungsverwahrten bessere psychologische Betreuung bekommen als Strafgefangene, heißt es im Gesetz. In Tegel haben viele Betroffene jedoch kaum eine Chance auf eine Behandlung, wie Hauke Burmeister von der Gesamtinsassenvertretung berichtet. Psychologen und Sozialarbeiter seien fast nie da.
Nun wehren sich die Betroffenen. Dieter Wurm legte beim Berliner Landesgericht Verfassungsbeschwerde ein, auch Templiner will notfalls bis nach Karlsruhe gehen. Der Rechtsanwalt Sebastian Scharmer hält den Vollzug für verfassungswidrig. „Im Grunde müsste man die Sicherungsverwahrten daher entlassen.“